Heute, während wir zu Mittag aßen, kam die Polizei und teilte uns mit, dass der Dalai Lama gegen 14 Uhr das Vien Giac Zentrum besuchen wird. Er war gerade in Bodhgaya angekommen und wollte sogleich vier örtliche Pagoden besuchen: Zunächst die Thai-Pagode, dann den taiwanesischen und den chinesischen Tempel, und zuletzt das vietnamesische Zentrum Vien Giac.
Nach dem Essen haben wir uns versammelt, um die Vorbereitungen zu besprechen. Da zu dieser Zeit kein indischer Mitarbeiter mehr im Hause war und die Zeit knapp wurde, mussten alle Mönche und Nonnen für die Reinigung der Außenanlage und Innenräumen eingeteilt werden.
Nur einen kurzen Moment später hatte bereits eine Hundertschaft der Polizei und Soldaten unser Zentrum abgeriegelt. Sie räumten den Müll auf der Straße zum Zentrum weg. Zu dieser Zeit waren im Zentrum Bikkhu Minh Tanh und Bikkhu Hanh Sa, Bikkhu Ngawang (der Vorsitzende des tibetischen Zentrums) und Nonnen aus Vietnam, Taiwan, Süd-Korea und zwei junge Novizen unseres Zentrums anwesend. Alle engagierten sich in den verschiedenen Vorbereitungen.
Gegen 13:30 Uhr versammelten wir uns in den traditionellen gelbe Roben vor der Haupthalle der Pagode, um den Dalai Lama zu empfangen. Zuvor haben uns die Polizisten noch einmal mit Metalldetektoren gründlich kontrolliert.
Erst gegen 16 Uhr am Nachmittag hörten wir die Polizeisirenen. In diesem Moment haben die Novizen Hanh Giai und Dong Thien mit der großen Trommel und dem großen Gong die buddhistische Bat-Nha Musik als Willkommensgruß für den berühmten Gast eingestimmt. Ein weißes Auto fuhr vor. Als der Wagen anhält, wird er von dutzenden Mitarbeitern und Polizisten umzingelt. Die Szene erschien uns ungewöhnlich, und umso mehr waren wir ratlos und wussten nicht, wie wir uns verhalten sollten. Da Bikkhu Ngawang den Ablauf schon kannte, übernahm er für uns in dieser Zeit die Moderation. Er stellte mich dem Dalai Lama als Leiter des Zentrums vor. Der Dalai Lama legte ein weißes Tuch um meinen Hals und begrüßte auch alle anderen Bikkhu und Bikkhuni einzeln in der Warteschlange.
Die gesamte Zeit hielt der Dalai Lama meine Hand fest, wodurch wir fast immer Hand in Hand die Treppen hoch zum Hauptaltar schritten.
Dort hat er uns gesegnet und eine Zeremonie für Frieden gehalten: Alle Buddhisten saßen hinten, die Hände gefaltet, und lauschten aufmerksam. Gleichzeitig warf er Reiskörner und Blumen und forderte die Mönche und Nonnen auf, es ihm gleichzutun.
Nach der Zeremonie übergaben ihm alle Bikkhu und Bikkhuni Geschenke und Geldspenden. Dies stellte eine Gelegenheit dar, sich ihm zu nähern. Herzlich drückte er von allen die Hände. Einigen genossen diesen besonderen Moment und mochten die Hände seiner Heiligkeit nicht mehr loslassen, bis sie durch die Sicherheitsleute mehrfach aufgefordert wurden. Er selbst war immer herzlich zu allen. Danach wurden Fotos mit ihm in der Gebetshalle gemacht.
Anschließend ging der Dalai Lama zum Haus des Patriarchen und von dort richtete er seinen Blick nach draußen, wo viele Leute Schlange standen, um einen Blick auf ihn zu werfen. Sein Blick war liebevoll. Die Zuschauer draußen zeigten sich sehr diszipliniert, vielleicht auch aufgrund der Anwesenheit der Soldaten am Straßenrand, die teilweise zudem auf Pferden patrouillierten.
Nach einer Weile baten wir ihn, in der Bibliothek einen Tee zu trinken. Dort – so hatten wir geplant – sollten die Mönche und Nonnen eine einmalige Gelegenheit haben, neben ihn zu sitzen. Leider wurde nur ich von der Security reingelassen. Im Raum sind außer mir noch zwei tibetische Lamas und drei Mitarbeiter des indischen Außenministeriums. Ich fühlte mich, als sich ich einem Traum - neben dem Dalai Lama sitzend und ihm den Tee servieren. Er fragte: „Was ist die Unterschied zwischen chinesischen und vietnamesischen Tee?“. Da ich keinen Teekenner bin, antwortete ich schnell und unprofessionell: „Ich denke, der Geschmack ist unterschiedlich“. Er fragt aber nicht weiter nach.
Danach bot ich ihm ein Stück kandierten Ingwer an, eine vietnamesische, süß-scharfe Süßigkeit. Er nahm ein Stück von dem Teller und reichte den Teller dann weiter. Danach kommentierte er: „Süß, aber ein bisschen schmutzig!“ („Sweet but dirty!“), da die Zuckerglasur ein wenig an den Fingern klebt. Der Novize Dong Thuan brachte ihm schnell ein Papiertaschentuch.
Auf dem Teller war noch eine andere Süßigkeit, die ich selbst sehr mag: eine Süßigkeit aus der Cherimoya-Frucht. Ich bat ihn, sie zu probieren. Er antwortete: „Ja, aber nur wenn Sie sie für mich auch öffnen, damit meine Finger nicht schmutzig werden“, und dabei lachte er herzlich. Als ich diesen Bonbon geöffnet hatte, öffnete er den Mund und forderte mich auf, sie darein zu legen. Eine verblüffend kindlich-spaßige Aufforderung, bei der alle Anwesenden lachen mussten. Er fragte weiter, wie viele Mönche ständig in dem Institut leben? Antwort: Fünf Mönche, andere kommen für einen begrenzten Aufenthalt. Weitere Fragen: Der vietnamesische Buddhismus wurde über China nach Vietnam übertragen, welche Schule praktiziert man meisten dort? Antwort: Meistens nach der Schule des Reinen Landes.
Er nickte und sage: „Nam mô A Di Đà Phật ?.“
Da die Zeit fortschritt und die Bikkhus schon länger gewartet hatten, erlaubte der Dalai Lama mit Hilfe der Security den Mönchen und Nonnen, nun einzeln in die Bibliothek einzutreten und ein Erinerungsfoto zu machen. So waren alle glücklich.
Unser VIEN GIAC Zentrum war die letzte Station seines Tagesprogrammes. Deswegen strengte es ihn an und beim Treppensteigen ins zweite Stockwerk zum Hauptaltar war er außer Atem. Ich dachte, nach der Anreise nach Bodhgaya müsse er wirklich müde sein. Aber trotzdem blieb er länger bei uns als bei den anderen Pagoden davor. Aber er belohnte auch die Geduld der Buddhisten draußen, die geduldig warteten um ihn, den bekanntesten Mönch der Gegenwart, zu sehen.
Beim Klang der Bát Nhã-Musik mit dem großen Gong und Trommeln verabschiedeten wir uns von dem Dalai Lama.
Wir waren sehr stolz und glücklich, dass er uns besucht hatte.
Einige Mönche sagten: „Hanh Dinh hat so viel Glück: Er ergriff seine Hände, er legte den weiße Schal um seinen Hals, er erlaubte ihm sogar, den Bonbon in seinem Mund zu legen…Was für eine Karma!“
Aber einige sagten auch: „Wenn wir nicht täglich der Buddha-Lehre nacheifern, auch wenn der Buddha selbst seine Hände auf unseren Kopf legen würde, gleicht man einer unwissenden Person.“ Ich hörte zu und dachte an die mahnenden Worte des großen Mönchs Quy Son.
Dieses Glück verdanke ich meinem Lehrer, dem großen Meister in Deutschland, und den Bikkhus Hanh Nguyen und Hanh Tan.
Mögen alle Lebenswesen erfolgreich auf dem Weg zur Erleuchtung sein.
Diese Zeilen beschreiben den Besuch des XIV. Dalai Lamas im Zentrum VIEN GIAC in Indien.
Bodh Gaja, Indien, Januar 2003Nam mô Hoan Hỷ Tạng Bồ Tát Ma Ha Tát.Bikkhu Thích Hạnh Định